Rückzugsstreifen in Ökowiesen: Der Fünfer und s’Weggli?

Lange waren die Anforderungen an die Nutzung von Ökowiesen in erster Linie auf die botanische Artenvielfalt und die Kontrollierbarkeit ausgerichtet. Die Ansprüche der Fauna fanden dagegen wenig Berücksichtigung. Mit einer einfachen Massnahme, den sogenannten Rückzugsstreifen, kann ein biologisch wichtiger und zugleich technisch und futterbaulich unkompliziert realisierbarer Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen für viele typische Tierarten in Extensivwiesen geleistet werden. Mitarbeiter von Ö+L haben die Methode entwickelt, erforscht und praxisreif gemacht. 

Was sind Rückzugsstreifen?

Rückzugsstreifen, auch Altgrasstreifen genannt, sind streifenförmige Bereiche in Ökowiesen, die jeweils nicht gemäht werden. Idealerweise sollten die Rückzugsstreifen einen Anteil von 5-10% der Wiesenfläche ausmachen, wobei die Lage der Streifen jährlich oder bei jedem Schnitt wandert. Die Streifen schaffen ein permanentes Blütenangebot und stellen Rückzugsstrukturen bereit, welche unzähligen Kleintieren einer Wiese das Überleben während und nach der Mahd ermöglichen.

Was nützen die Streifen?

Die Streifen haben vor allem drei biologische Vorteile:

  1. Sie helfen mit, ein permanentes Blütenangebot zu schaffen. Denn oft sind noch viele Wiesenblumen am Blühen, wenn gemäht wird – auch in Ökowiesen, insbesondere beim zweiten Schnitt! Zudem werden Ökowiesen beim ersten Schnitt oft alle gleichzeitig gemäht. Damit verschwindet auf einen Schlag das gesamte Blütenangebot, auf das viele Insekten überlebenswichtig angewiesen sind.
  2. Sie stellen wichtige Strukturen bereit: Netzspinnen beispielsweise brauchen stabile Stängel zur Befestigung ihrer Netze, und Heuschrecken ziehen sich je nach Witterung in ungemähte Streifen zurück, um das für sie optimale Mikroklima aufzusuchen. Feldhasen oder Reptilien und vielen anderen Tierarten können die Streifen als Deckung vor Raubfeinden dienen. Bodenbrütenden Vögel ermöglichen die Streifen, ihre Brut, allenfalls ihre zweite Brut aufziehen (z.B. Braunkehlchen). Und viele Insekten benutzen zur Ablage ihrer Eier Pflanzenstängel (z.B. Goldschrecke), so dass ihr Nachwuchs die Mahd oft nicht überlebt, oder sie brauchen im Herbst die hohlen Pflanzenstängel zur Überwinterung (z.B. viele Käferarten). All diesen Tieren dürfte bereits der kleine geforderte Flächenanteil von 5-10% genügen, um ihre Populationen zu erhalten und von den Streifen aus die übrige Wiesenfläche wieder zu besiedeln, wenn dort die Vegetation wieder nachgewachsen ist und damit die Lebensbedingungen für sie wieder günstig sind.
  3. In den Streifen können insbesondere spät blühende Pflanzenarten absamen. So blühen manche Enzianarten erst im August oder gar September bis Oktober. Eine ganzflächige Herbstmahd verunmöglicht ihnen ein Absamen. Deshalb kommen einige Arten fast nur (noch) auf Weiden vor .

Woher kommen die Rückzugsstreifen?

Obschon biologisch unbestritten und technisch problemlos realisierbar, ja oft arbeitssparend, habe viele Bauern zu Beginn Mühe mit den Rückzugsstreifen. Die Streifen widersprechen ihrer (in intensiv genutzten Wiesen sicher berechtigten) Gewohnheit, dass immer möglichst sauber gemäht werden sollten. Aber wohl noch wichtiger ist die Angst ums eigene Image: Bleiben Streifen stehen, könnte der Nachbar ja denken, da sei ein unsorgfältiger Mäher am Werk gewesen! Doch in Regionen, wo die Methode praktiziert wird, legten dich diese Widerstände meist in kurzer Zeit.

Tatsächlich war die Streifenmahd als gezielte Methode der Wiesenbewirtschaftung nie Tradition, sondern geht auf ökologische Überlegungen zurück, die sich vier Diplomanden der ETH Zürich im Jahre 1985 gemacht haben. Die Studenten wollten ein System entwickeln, das die negative Wirkung der Mahd auf die Fauna im artenreichen Grünland vermindert, ohne aber botanisch negative Auswirkungen zu zeitigen (Andres et al. 1987). Den Anstoss gab ihnen eine historische Recherche: Wo heute hektargrosse Bewirtschaftungseinheiten existieren, reihten sich noch in den 50er Jahren Hosenträgerparzelle neben Hosenträgerparzelle – jede nicht breiter als ein paar Meter. Und jede gehörte einem anderen Bewirtschafter: Der eine mähte früh, der ander spät, der Dritte vielleicht ein Jahr gar nicht. So war damals ohne besondere Absicht ein reiches Bewirtschaftungsmosaik sichergestellt. Sie stand in Gegensatz zur üblichen grossflächigen Streumahd, die auf Anweisung des Naturschutzes ab dem 1. September praktiziert wurde.

In einem zweijährigen Praxistest in einer Streuwiese in den Böschen am Greifensee/ZH konnten die Studierenden einige ihrer Hypothesen stützen, dass nämlich die untersuchten Tier-Indikatorgruppen Spinnen und Heuschrecken von den „traditionell-untraditionellen“ Streifen profitieren, bei gleichzeitig kurzfristig teilweise negativer Auswirkungen auf die Vegetation (Bosshard et al. 1988). Die grossflächige Versuchsanlage wird bis heute mit ausgepflockten, alle 6 Jahre an dieselbe Stelle zu liegen kommenden ungemähten Streifen in geregelter Weise weiter bewirtschaftet und diente verschiedenen Nachfolgeuntersuchungen zur Analyse langfristiger Effekte (Marti 1992, Andres 1994, Andres et al. 1995, sowie verschiedene Diplomarbeiten und Dissertationen am Geobotanischen Institut der ETH Zürich).

Die Resultate bestätigten die positive Wirkung auf die Fauna und belegten gleichzeitig, dass sich die kurzfristig negative Wirkung auf die Vegetation, die einerseits v.a. in einer Zunahme von Gehölzpflanzen und andererseits in einer Beeinträchtigung empfindlicher Pflanzenarten durch den Streuefilz (z.B. die sehr seltene Sumpforchis Orchis palustris und weitere rosettenbildende Pflanzen) bestand, bereits nach wenigen Jahren regulärer Mahdnutzung wieder „wettgemacht“ ist. Damit haben die frühestens nach sechs Jahren wieder an den gleichen Ort zu liegen kommende ungemähten Streifen die Nagelprobe im Feuchtgrünland bestanden.

Das Modell der Streifennutzung wurde daraufhin von der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich für einen Grossteil ihrer Streuwiesen-Naturschutzgebiete übernommen, später auch von weiteren Kantonen (z.B. Kanton Aargau).

Pilotversuch 2002 führte zu breiter Anwendung

Im Jahr 2002 hat das Büro Ö+L auf AgriKuuL-Betrieben im Zürcher Oberland mit einem Pilotversuch begonnen, um Möglichkeiten zu prüfen, die Streifenmahd generell in den ökologischen Ausgleich einzuführen (Details hier). Die Erfahrungen der Bauern sind nach anfänglicher Skepsis ausgesprochen positiv ausgefallen. Der Kanton Zürich hat deshalb die AgriKuuL-Regelung bereits generell für Vernetzungsprojekte freigegeben, und auf Bundesebene laufen Versuche zu einer möglichen Einführung im Rahmen der Direktzahlungsverordnung. Und unser Büro fordert seit 2003 in den von uns durchgeführten Vernetzungsprojekten die Streifennutzung in jeweils projektspezifisch angepasster Form mit guter Akzeptanz für alle Grünlandökotypen.

Offene Fragen

Es ist heute breit anerkannt, dass die Streifenmahd bei richtiger Durchführung eine messbare, bedeutsame ökologische Optimierung für den ökologischen Ausgleich darstellen könnte. Obschon viele biologische Fragen seit den erwähnten ersten Untersuchungen aus den 80er-Jahren geklärt werden konnten, bestehen Forschungslücken und entsprechend in Fachkreisen zu einzelnen Details widersprüchliche Meinungen, so z.B. über die optimalen Flächenanteile, über die Auswirkungen in relativ wüchsigen Ökowiesen, oder über den Effekt auf bracheempfindliche, seltene Pflanzenarten in Trockenwiesen. Diesbezügliche Forschungs- und Koordinationsprojekte, an denen Ö+L beteiligt ist, sind im Gange.

Weiterführende Literatur